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AutorenbildStefanie

Bye-bye Benzos - Hallo Freiheit

Von Verwandlung, Veränderung und Vertrauen


Ich hatte den Tag bisher ohne das Medikament mehr schlecht als recht überstanden und nun stand noch das erste Familienessen in einem Restaurant bevor. Bereits während der Autofahrt dorthin wurden meine Beschwerden wieder schlimmer, mir war schummrig und ich war innerlich total nervös und unruhig. Irgendwie hatte ich ständig das Gefühl, gleich wegzukippen, obwohl ich im Auto saß. Jedoch war ich mir auch nicht sicher, ob ich mir da etwas einbildete oder zumindest die Symptome stärker empfand, weil ich mir da etwas einredete. Darin bin ich nämlich teilweise sehr gut. Ich hatte die Hoffnung, dass ich beim Essen durch die Gespräche abgelenkt sein und meine unangenehmen Empfindungen einfach vergessen würde. Weit gefehlt. Im Lokal und an unserem Tisch angekommen, merkte ich recht schnell, dass ich den Abend so nicht schaffen würde. Die vielen Eindrücke, der Wirbel im gesamten Restaurant und die Mühe, die ich hatte, Smalltalk mit meinen Tischnachbarn zu führen, waren mir plötzlich zu viel.


Ich entschuldigte mich und verschwand auf die Toilette, wo ich eine halbe Tablette schluckte. Das sollte hoffentlich reichen. Zurück am Tisch machte ich vorerst gute Miene zum bösen Spiel, doch bereits nach kurzer Zeit verflüchtigten sich sämtliche Symptome und ich entspannte mich endlich und konnte mich auf die Gespräche konzentrieren. Eine Sache machte mir nun noch Sorgen: Ich hoffte inständig, dass niemand von den anderen auf die Idee käme, eine „Runde“ zu bestellen, um auf das Geburtstagskind anzustoßen. Als schließlich die Kellnerin unsere Bestellung aufnahm, war mein Freund so geistesgegenwärtig und hat sofort Johannisbeersaft mit Leitungswasser bestellt. So fiel es mir leicht, mich mit den Worten „dasselbe für mich“ anzuschließen. Bei mir war seit Jahren bei Bestellungen der Automodus auf „für mich einen Spritzer weiß bitte“ (für die Leser:innen aus Deutschland: Weißweinschorle). Prosecco war mir auswärts zu teuer bzw. von der Menge her einfach zu wenig. Da bevorzugte ich die 0,25 l im Vergleich zu den 0,1 l-Miniportionen, von denen ich wusste, dass ich das mit zwei Schlucken weggekippt hätte und dann nervös warten hätte müssen, dass a) die Kellnerin zeitnah wieder an den Tisch kommt und nachfragt, ob es noch etwas sein darf und b) nicht nur ich dann die Einzige bin, die schon leer war und Nachschub wollte. Ich zählte bereits im Jugendalter immer zu jenen, die schneller als die anderen getrunken haben und war beim Bezahlen meist mindestens ein Getränk voraus als der Rest. Alleine die üble Gedankenschleife, nicht zu schnell zu trinken und das ständige Beäugen meines Glases (ist es nun halb leer oder noch halb voll), waren ein enormer Stressfaktor und trübten oft Abende in Gesellschaft, weil ich mit meinen Gedanken mehr bei meinem Getränk als bei den Gesprächen war.


Ab nun musste ich mir im Vorfeld überlegen, was ich alternativ ordere. Irgendwann wird mir das hoffentlich genauso in Fleisch und Blut übergehen wie es mir mit Alkohol bisher ging. Bei diesem Essen war ich daher erleichtert, mich bei meinem Freund anhängen zu können, ohne lange nachdenken zu müssen. Ich hatte in diesem Moment zwar kein Craving (Gott sei Dank), aber die Vorfreude auf Jo-Saft zu mexikanischem Essen hielt sich stark in Grenzen. Noch dazu blieb es am Tisch natürlich nicht bei rein alkoholfreien Getränkebestellungen und im Gespräch mit meinem direkten Sitznachbarn roch ich den Rotwein aus seinem Mund, den dieser genüsslich (aber auch in einem schönen Tempo) genoss. Dieser Umstand war aber eher abstoßend, als dass er mich getriggert hätte. Es war auch interessant, zu beobachten, dass in der Zeit in der ich meinen halben Liter Saft geleert habe, eben dieser ein Seiterl Bier und drei Gläser Rotwein wegkippte. Ein paar Tage zuvor wäre ich ihm in nichts nachgestanden. Alles in allem war es – dank der halben Tablette – ein schöner Abend und im Nachhinein war ich sehr stolz auf mich, diese erste Hürde nach so kurzer Zeit gemeistert zu haben. Das muss sich jedoch jede/r selbst für sich gut überlegen und den Zeitpunkt bewusst wählen, ab wann man gefestigt genug ist, um nicht bei so einer Gelegenheit alle guten Vorsätze über Bord zu werfen. Ist ja nur heute…ist ja ein spezieller Anlass…ich will nicht die Spaßbremse sein…die anderen trinken ja auch usw.



Am nächsten Morgen – mein Tag 7 – habe ich wieder auf die Tabletten verzichtet und innerlich darauf gewartet, dass die Symptome erneut zuschlagen. Für diesen Tag habe ich mir Ruhe und Entspannung verordnet. Und ich habe es geschafft, die halbe Pille am Vorabend sollte meine letzte sein. Ein weiterer Erfolg, auf den ich stolz sein konnte. Die Erleichterung darüber, auch von diesem abhängig machenden Zeug weg zu sein, kann ich auch heute noch nicht in Worte fassen. An diesem Abend war ich bei einer Freundin zu Hause eingeladen. Ich wusste bereits, dass diese selbst gerade eine zeitlich begrenzte Alkoholpause machte. Ihr Motiv war jedoch, um Diät zu halten. Damit sie nicht extra für mich etwas besorgt – natürlich kannte auch sie mich bestens mit einem Glas Prosecco in der Hand – habe ich ihr im Vorfeld mitgeteilt, dass ich momentan ebenfalls eine Detox-Pause mache. Erklärungsbedarf hatte ich in diesem Fall erfreulicherweise keinen, da sie selbst regelmäßig und seit Jahren diese Abstinenzphasen praktiziert. Außerhalb dieser Pausen haben wir aber bei jedem unserer Treffen stets ein bis zwei Gläser getrunken, auch wenn dieses mitten am Nachmittag stattgefunden hatte. Der Abend war sehr schön, ich wurde gut bekocht, es ging mir auch ohne Tabletten körperlich gut und ich kam nicht in Versuchung, da wir beide bei Wasser blieben.


Das war auch der Tag, an dem mir morgens mein Partner nach dem Aufstehen – ich war da noch im out-of-bed-Look und alles andere als zurecht gemacht – sagte, dass ich bereits um vieles besser und frischer aussehe. Das war mein Highlight des Tages. Unter „Der Körper heilt“ habe ich alle meine Beschwerden und Auswirkungen durch den Konsum zusammengefasst, aber auch festgehalten was sich binnen kürzester Zeit gebessert oder komplett verflüchtigt hat. Beim Verfassen des Textes war ich einerseits schockiert, welche Leiden – körperlicher aber auch psychischer Natur – ich mir da viel zu lange selbst zugefügt und auch hingenommen hatte, nur um diese toxische Beziehung mit Mephisto nicht beenden zu müssen. Andererseits war ich aber auch erstaunt und erleichtert darüber, wie schnell der Heilungsprozess meines Körpers einsetzte. Dieser ist nach wie vor in vollem Gange und um die Hygiene meiner Psyche, Seele und Selbstliebe kümmere ich mich obendrein. Das ist natürlich ein Prozess, der dauern wird und Geduld abverlangt. Auch hier gilt meine Devise: Schritt für Schritt, Tag für Tag und kleine Erfolge und Fortschritte gebührend anzuerkennen. Und vor allem, mir selbst wieder zu vertrauen.


An Tag 8 stand wieder ein Kontrollbesuch bei meinem Hausarzt an. Diesem teilte ich stolz mit, dass ich den Rest der Tabletten – wie zuvor den Restbestand an Alkohol im Haus – entsorgt hatte. Es war ein sehr emotionales Gespräch, da ich ihm unter Tränen für seine Hilfe und Unterstützung dankte. Bei diesem Besuch saß eine auszubildende Ärztin mit im Ordinationsraum, was mir anfangs etwas unangenehm war. Im Nachhinein glaube ich, dass er dieser zeigen wollte, dass man als Allgemeinmediziner auch mit derartigen Themen konfrontiert wird. Er selbst hat mir ja offen mitgeteilt, dass er bis dato noch keine Patient:innen hatte, die ihn aus freien Stücken aufgesucht, um ein Alkoholproblem einzugestehen. Seiner Erfahrung nach suchten stets die Familienangehörigen Rat und Hilfe bei ihm. In diesem Gespräch hat er mir aber auch klar gemacht, dass nun sein Beitrag für meine Genesung vorerst geleistet sei, da der körperliche Entzug nun vorüber war. Er wusste von mir, dass ich bereits einen Termin bei der Alkoholberatung vereinbart hatte und zusätzlich eine Therapie starten würde, um auch die psychische Komponente aufzuarbeiten und vor allem, um dran zu bleiben bzw. um für die Stabilität meiner „Babynüchternheit“ weiterhin Sorge zu tragen.


Wir haben vereinbart, dass ich in ungefähr drei Monaten einen neuen Termin für eine „Gesundenuntersuchung“ vereinbare. Ich wollte meinem Körper – meiner Leber - hierfür noch etwas Zeit geben, um sich zu erholen. Früher habe ich diese „Rundum-Untersuchung“ (oder: mir mein Jahrespickerl geholt, wie meine Freundin dazu immer sagt) regelmäßig in Anspruch genommen, mit Zunahme meines Konsums habe ich mich dann nicht mehr getraut - aus Furcht, mein Arzt könnte daraus (die richtigen) Schlüsse ziehen und mir ein Alkoholproblem diagnostizieren. Und das hätte bedeutet, dass ich mir selbst dieses Problem hätte eingestehen müssen. Im Endeffekt war ich ja der Meinung, dass ich alles im Griff hatte und Alkohol zum Leben einfach dazu gehörte. Diese Untersuchung hat mein Arzt selbst ebenfalls begrüßt, da er ein Herz-EKG machen wollte, weil – das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht – die Stimmungsaufheller Herz-Rhythmus-Störungen verursachen können und darauf wollte er ein Auge haben. Mittlerweile weiß ich von meinem Psychiater, dass beispielsweise auch die Einnahme von Magenschonern und anderen Arzneimitteln diese genauso auslösen können. Natürlich werde ich hier darüber berichten, sobald ich die Untersuchung hinter mir und die Befundergebnisse besprochen habe. Ich vertraue darauf, dass keine bösen Überraschungen auf mich warten und ich sozusagen mit einem blauen Auge davon gekommen bin.

"Der Schmetterling ist der Beweis dafür, dass du durch sehr viel Dunkelheit gehen und trotzdem zu etwas Wunderschönem und Einzigartigem werden kannst."

Aus diversen Foren und Podcasts mit Betroffenen weiß ich, dass sich extrem erhöhte Leberwerte nach einer ausreichenden Erholungsphase im Zuge der Abstinenz auch wieder auf einem normalen Niveau einpendeln können. Natürlich ist der früheste Zeitpunkt, mit dem Teufelszeug aufzuhören, der beste (am besten wäre, es käme gar nicht erst soweit), aber es ist auch nie zu spät, sich für den nüchternen und freien Weg zu entscheiden.


Ich freue mich, dass du dir (wieder) die Zeit für meinen Blog genommen hast und erhebe nun mein Wasserglas, um auf die Nüchternheit und meine Verwandlung zum Schmetterling anzustoßen.

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