Mein Start in ein neues Leben OHNE - Teil 1
Ich vermute, ich bin nicht die Einzige unter uns, die in der Vergangenheit Dr. Google mit der Frage "Bin ich Alkoholiker:in?" konsultiert hat. Der Gedanke, dass ich mein Trinkverhalten nicht mehr unter Kontrolle hatte, beschäftigte mich in immer regelmäßigeren Abständen. Und während die Suchergebnisse geladen wurden, hielt ich stets den Atem an. Auf der einen Seite wünschte ich mir, Herr Dr. Google würde mir umgehend raten, mir Hilfe zu suchen (und das am besten in blinkenden Neonfarben und begleitet mit schrillen Alarmglocken), auf der anderen Seite habe ich darauf gehofft, zu lesen, dass mein Konsum noch unproblematisch sei. Das war eindeutig die Stimme Mephistos, die mir da einflüsterte, nur nach jenen Ergebnissen Ausschau zu halten, die meine Befürchtungen beschwichtigen würden und den Rest einfach auszublenden.
So kam es dann auch, dass mir in meinem Facebook-Feed im Sommer das erste Mal ein Video von Nathalie (Stüben) eingespielt wurde. Dieses hat in mir einiges ausgelöst und in Bewegung gebracht. Ich habe ab diesem Zeitpunkt immer mal wieder bei Nathalie vorbeigeschaut und so auch vom Programm "Die ersten 30 Tage ohne Alkohol mit Nathalie" erfahren. Vorerst sollte es jedoch einmal bei diesen zaghaften Kurzbesuchen, bei denen ich nie weiter als ins Vorzimmer eingetreten bin, bleiben.
Anfang Oktober habe ich schließlich den ersten Versuch gestartet, meinen Konsum einzudämmen, was auch einige Tage ganz gut geklappt hat - an dieser Stelle lache ich gerade höhnisch oder ist es doch eher immer noch Mephistos Stimme, die ich da höre? Mein Ziel war das kontrollierte Trinken (jetzt lächelst du vermutlich wissend mit mir) und nicht, es ganz sein zu lassen. Ich war tatsächlich der Meinung, dass das Einhalten von Trinkregeln, die ich ehrlich gesagt sehr locker und mit großem Spielraum für mich gestaltet habe, völlig ausreichen würde, um künftig ein Leben mit "normalen" Konsum führen zu können. Der Gedanke an einen absoluten, lebenslangen Verzicht löste zu dieser Zeit noch eine schlimme Panik und Beklommenheit in mir aus.
"Manchmal ist ein Festhalten an etwas viel schmerzhafter, als einfach loszulassen."
Bei einem Bummel mit meiner besten Freundin (bis vor Kurzem aka meine Proseccoschwester, meine beste Freundin ist sie zum Glück immer noch) habe ich - mich in falscher Sicherheit wiegend - wieder der vertrauten, säuselnden Stimme nachgegeben. Nichts zu trinken ging danach wieder einige Tage gut bis das kam, was du wahrscheinlich schon weiter oben im Text vermutet hast. Zusätzlich habe ich mir ja eingeredet, dass ich körperlich noch nicht abhängig war, weil es zu dieser Zeit - bis auf den ersten Tag - ohne "Nebenwirkungen" super funktioniert hatte. Bereits ab dem zweiten Tag habe ich mich um vieles besser gefühlt und ich hatte endlich wieder einmal richtig Lust und Elan, etwas zu unternehmen. Das ließe sich doch jederzeit ganz einfach wiederholen.
Wieder habe ich mich in falscher Sicherheit gewogen. Bis ich dann nach nicht einmal zwei Wochen zurück in der altbekannten Spirale gefangen war und sogar schon vormittags getrunken habe. Das sollte eigentlich nur dazu dienen, meinen vermeintlichen Kater (oder eher die Entzugserscheinungen) zu lindern, aber natürlich gab es ab dem ersten Schluck - der mir vorkam wie meine Rettung - kein Halten mehr, nachdem der Schalter umgelegt war. Täglich grüßte das Murmeltier.
Bis ich schließlich am 31. Oktober (es war ein Fenstertag und mein Freund und ich hatten frei) am Morgen festgestellt habe, dass ich nichts mehr auf Vorrat (bedeutet versteckt) hatte und auch keine plausible Ausrede parat hatte, warum ich nun außer Haus müsste. Und da ging es dann mit den körperlichen Entzugserscheinungen los und ich habe mich in diese zusätzlich so richtig hinein gesteigert, da ich über die Gefahren eines kalten Entzugs Bescheid wusste. Ich dachte, ich müsste sterben und würde den Tag nicht überleben, sollte ich mich nicht wieder geschlagen geben und den Sieg erneut meinem größten Feind überlassen.
Ich wollte das aber nicht mehr, ich hatte keine Kraft mehr für diesen täglichen inneren Kampf und meinen Selbstwert hatte ich auch restlos zerstört. Durch permanente Selbstvorwürfe, das schlechte Gewissen und mein fahles, abgekämpftes Spiegelbild, das mir jeden Tag stumpf entgegenblickte, war ich nicht nur körperlich am Ende. Ich stand mit dem Rücken zur Wand und wusste, dass für mich nun der Zeitpunkt gekommen war, der bitteren Wahrheit ins Auge zu blicken und mir einzugestehen, dass ich mir mit Mephistos Hilfe schleichend ein wirklich ernsthaftes Alkoholproblem eingebrockt habe. Da war sie nun endlich: Meine eigene Stimme meldete sich seit langem wieder einmal zu Wort, obwohl Mephisto um zahlreiche Widerworte nicht verlegen war.
Mein Freund hat mich die Monate davor immer mal wieder sehr vorsichtig auf meinen Konsum angesprochen, ab und zu sehr subtil, andere Male etwas direkter. Wenn man jedoch selbst noch nicht so weit ist, steht der Partner im Grunde ohnmächtig und hilflos daneben und muss dabei zusehen, wie sich der Freund/die Freundin schön langsam zugrunde richtet. An diesem Tag habe ich jedoch ALLE Karten - ein "all in" sozusagen - auf den Tisch gelegt und - wie sich herausstellte - ganz neu für mich gemischt. Ich habe ihm offen und ehrlich gesagt, wie es in mir aussah und wie schlecht es mir körperlich ging und dass ich mich nun endlich den Tatsachen stellen und gegen dieses Teufelszeug kämpfen würde. Er hat an diesem Tag die ganze ungeschönte Wahrheit von mir erfahren, vieles davon hatte er bereits vermutet oder ohnehin mitbekommen.
Da saß ich nun wie ein Häufchen Elend und fühlte mich wie ein eingesperrtes Tier im Käfig. Die innere Unruhe und die Schreie meines Körpers nach Nachschub brachten mich dann schließlich soweit, dass ich meinen Freund bitten musste, mir den Feind wieder ins Haus zu holen. Zum einen, weil ich Erlösung suchte und zum anderen, weil ich einen kalten Entzug im Alleingang nicht riskieren wollte.
Welcher Stimme ich letzten Endes Gehör geschenkt habe, weißt du bereits. Wie es an diesem Tag und die Tage danach weiterging, erfährst du bald im zweiten Teil.
Für all jene von euch, die die wunderbare Arbeit von Nathalie und ihrem gesamten Team noch nicht kennen, ist hier der Link auf die Webseite: www.oamn.jetzt. Dort findet ihr alle Infos zu den Programmen, zum Blog, zu den Podcasts und den Videos. Dr. Google könnt ihr das nächste Mal komplett außen vorlassen, da auf der Seite auch ein Selbsttest zu finden ist.
An dieser Stelle möchte ich mich nochmal recht herzlich bei dir - liebe Biggi - für das Korrekturlesen meiner Webseite und das Hinweisen auf den ein oder anderen Rechtschreibfehler bedanken!
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