Von Beichten, Benzos und Befreiung
Mit dem zweiten Teil meiner Geschichte wollte ich dich nicht zu lange warten lassen, da dieser ja direkt an das Ende von Teil 1 anschließt. So ging es an diesem Tag weiter:
Mein Freund war also kurz außer Haus, um den Einkauf für den bevorstehenden Feiertag zu erledigen und um für mich das fürchterliche Gift zu besorgen. Nun war ich ganz alleine, aufgewühlt von meiner Beichte und mit vom Weinen verquollenen Augen körperlich entzügig an meine Grenzen kommend. Um mich von meinem Herzrasen und dem Schwindelgefühl abzulenken und vor allem, weil ich in meinem tiefsten Inneren wusste, dass ich Hilfe brauche, habe ich ein weiteres Mal Dr. Google konsultiert und mir den Kontakt der Alkoholberatung meines Bezirks rausgesucht. Zitternd und nervös wählte ich die Nummer und überlegte fieberhaft, mit welchen Worten ich in das Gespräch einsteige. Mit: "Hallo, ich bin Stefanie, habe ein Alkoholproblem und brauche dringend Hilfe."? Es war ja ein Fenstertag, daher blieb es am anderen Ende der Leitung still. Also blieb noch die Ambulanz der Suchtabteilung der psychiatrischen Klinik in meiner Nähe. Vor dem Anruf dort hatte ich am meisten Panik. Denn: Eine meiner größten Ängste war, einige Wochen einen stationären Aufenthalt machen zu müssen, den man wahrlich nur schwer in der Familie, im Freundeskreis und in der Arbeit vertuschen kann.
Dieses Mal meldete sich am anderen Ende der Leitung eine freundliche Stimme. Meine eigene war voller Verzweiflung, Hilflosigkeit und Angst, als ich das zweite Mal an diesem Tag laut ausgesprochen habe, dass ich ein Alkoholproblem hatte. Mit großer Erleichterung stellte ich fest, dass meine Gesprächspartnerin weiterhin freundlich zu mir war und sich meiner annahm. Sie konnte mir jedoch keine schnelle Hilfe anbieten, da ich mit meinem Problem anscheinend (welche Überraschung) nicht alleine war. So wurde ich auf eine Warteliste gesetzt, ohne dass sie mir einen ungefähren Zeitpunkt mitteilen konnte und am Ende unseres Telefonats sagte sie mir eindringlich, ich solle keinesfalls in der Zwischenzeit alleine einen Entzug versuchen. "Hören Sie auf gar keinen Fall auf zu trinken", war der genaue Wortlaut. Mich überraschte dieser Satz, weil sie davor kein einziges Mal nachgefragt hatte, wieviel und wie lange ich bereits konsumierte, um meinen Abhängigkeitsgrad einschätzen zu können. Vermutlich ruft man dort nur dann an, wenn man keinen anderen Ausweg mehr sah und tatsächlich ein ernsthaftes Problem hatte. Letztendlich bestätigte die Aussage, nichts auf eigene Faust zu starten, umso mehr meine Angst vor einem Entzug ohne professionelle Unterstützung.
So blieb mir an diesem Tag nur noch mein Hausarzt übrig, dem ich eigentlich am wenigsten mitteilen wollte, was mit mir los war. Schließlich muss ich dem ja künftig wieder unter die Augen treten und ich machte mir Sorgen, was dieser dann zukünftig von mir denken würde. Diese Bedenken musste ich über Bord werfen, wenn ich nicht wochen- oder gar monatelang auf einen anderen Termin woanders warten wollte. Bei meinem Hausarzt hatte ich Glück und habe für den übernächsten Tag abends einen Termin bekommen.
Endlich kam mein Freund vom Einkauf nach Hause und staunte nicht schlecht, als er erfuhr was ich in der Zwischenzeit in Angriff genommen hatte. Daher fiel es mir nicht ganz so schwer, sofort neben ihm eine lauwarme Proseccodose zu öffnen und gierig nach körperlicher Linderung suchend den ersten großen Schluck zu nehmen - vormittags! Im Telefonat mit der Psychiatrie habe ich ja sozusagen einen Freifahrtschein bekommen und so habe ich dann noch drei Tage lang dieses hinterlistige Zeug in mich hineingeschüttet und mich gedanklich von meinem vermeintlichen Freund verabschiedet. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem das Gefühl des Rausches alles andere als schön war - dieses hatte mittlerweile den Schein des Glanzes und die Illusion des "sich-gut-Fühlens" komplett verloren. Mir ging es nur mehr darum, die Zeit bis zu meinem Termin irgendwie zu überstehen und meine Ängste davor zu betäuben.
Das Gute war, dass unsere Kinder in diesen Tagen nicht bei uns daheim waren und mein Freund und ich (trotz Konsum) ausreichend Zeit für ausführliche Gespräche hatten. Dieser hat mich dann schließlich auch zu meinem Arzt gebracht - selbst zu fahren wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Dort legte ich ein weiteres Mal - mittlerweile hatte ich ja bereits Übung darin - die Karten auf den Tisch und bekam eine Reaktion mit der ich im Leben nicht gerechnet hätte. Er hat mir gut zu- und mir seinen Respekt ausgesprochen, weil er bis dato nur von Angehörigen um Rat und Hilfe gebeten, jedoch nie von den Betroffenen selbst aus freien Stücken aufgesucht wurde. Es war ein sehr emotionales Gespräch unter vielen Tränen, aber auch mit riesengroßer Erleichterung verbunden. Ich habe mein Problem offen ausgesprochen - sozusagen die Beichte abgelegt - und es wurde ernst genommen. Die größte Erleichterung war, dass er mir sagte, wir können den körperlichen Entzug mit Medikamenten (sogenannten Benzos bzw. Benzodiazepine) versuchen. Kein Wort von einem stationären Aufenthalt, den ich ja am meisten befürchtet hatte. Die psychische Komponente - bis auf das zusätzliche Verschreiben von Stimmungsaufhellern - blieb bei diesem Gespräch noch außen vor, da es in erster Linie vorerst darum ging, das Teufelszeug aus meinem System zu bekommen und anschließend wieder von den Tabletten wegzukommen, um nicht in die nächste Abhängigkeit zu schlittern.
"Wenn du fliegen willst, musst du lernen das loszulassen, was dich runterzieht."
Ich sollte - trotz Alkohol im Blut - noch am selben Abend mit den Benzos beginnen und meine Frage, ob ich zu Hause noch etwas trinken darf (ja ich weiß), hat er natürlich vehement verneint. Wieder daheim, habe ich neben meinem Freund die Medikamente ausgepackt und dabei bitterlich zu weinen begonnen. Ich fühlte mich wie der größte Versager und war so dermaßen erschrocken darüber, an welchen Punkt mich das Arschloch (sorry für die Wortwahl) Alkohol gebracht hatte. Es ist ziemlich schizophren, dass ich extrem ungerne Tabletten zu mir nehme, meinen Körper und meiner Seele aber ohne mit der Wimper zu zucken viel zu lange das flüssige Gift zugemutet habe. Den Blick noch auf die Tabletten gesenkt, habe ich mich immer wieder bei meinem Freund entschuldigt, dass ich es soweit habe kommen lassen. Und im Endeffekt habe ich mich auch bei mir selbst und meinem Körper entschuldigt. Mein Freund hat mich in den Arm genommen und mir gesagt, dass er stolz auf mich ist, dass wir das gemeinsam meistern werden und er mich unterstützen würde wo immer auch nötig.
Während ich die erste Tablette mit Wasser runter spülte - ehrlich gesagt auch mit Angst verbunden, was diese in mir auslösen wird - ging mein Freund in die Garage und entsorgte den Rest an Alkohol, der noch da war. Anschließend legte ich mich auf die Couch und kurze Zeit später hatte ich das Gefühl in flauschige Watte eingepackt zu sein. Mein Körper - der nach Erholung und Entgiftung schrie - und mein Gedankenkarussell kamen endlich zur Ruhe. Seit langer Zeit schlief ich das erste Mal wieder durch. Kein stundenlanges mich unter Herzrasen, Übelkeit und Selbsthass "Hin und Her wälzen" ab drei Uhr morgens, sondern erholsamer durchgehender Schlaf, den ich so sehr brauchte...
Wie es mir an Tag 1 meiner Nüchternheit und den weiteren Tagen unter Einfluss der Benzos erging, wie sich der Entzug davon anfühlte, wie sich das erste Essen in Gesellschaft abspielte, wie ich mit meinem ersten Craving umging und welche weitere Unterstützung ich mir gesucht habe, erzähle ich dir im dritten Teil meiner Geschichte. Bis dahin hoffe ich, dass meine Geschichte deine Entscheidung für ein Leben OHNE umso mehr bestärkt und du genau in diesem Moment deine eigene Nüchternheit feierst so wie ich die meine feiere!
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